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Shy Tech:

Technik, die das Leben bereichert, erleichtert und entspannt

Was das Kaufverhalten im Bereich der Consumer Electronics angeht, wollen Konsumenten am liebsten alles immer und überall griff- und kaufbereit haben. Das Titelthema dieser POINT Ausgabe behandelt das Thema im Hinblick auf die Möglichkeiten von Omni- und Multi-Channel-Strategien, die dem Konsumenten das perfekte Einkaufserlebnis versprechen. Stichwort: Viel hilft viel.

Bei der Technik selbst geht der Trend allerdings immer mehr in Richtung Minimalismus. Geräte werden kleiner, designorientierter und integrieren sich immer intuitiver und unsichtbarer in den Alltag.

Schüchtern ist das neue laut

In gewisser Weise hat es etwas mit Tiefstapeln zu tun: Auch wenn Consumer Electronics rein optisch immer weiter in den Hintergrund rücken, haben sie gleichzeitig bei verbesserter Usability deutlich mehr auf dem Kasten als ihre vergleichsweise klobigen Vorgänger. Hinter diesem Phänomen steckt der große Trend Shy Tech. Schon für die Juni-Ausgabe der POINT haben wir mit Dr. Patrick Kramer, seines Zeichens Chief Cyborg Officer und absoluter Digitalisierungs-Experte, im Rahmen eines Interviews über das Thema gesprochen. Er ist absoluter Fan der Entwicklung und sagte damals sinngemäß, dass er umso glücklicher sei, je weniger Technologie eine Rolle in seinem Leben spielen würde. Ein Paradoxon für jemanden, der Mikrochip-Implantate trägt? Nicht ganz. Mit Shy Tech verschwindet nur die Offensichtlichkeit einzelner Technikkomponenten, ihre umfassenden Funktionen bleiben uns jedoch erhalten. Das Leben mit Technik fühlt sich so leichter an, ohne technische Abstriche machen zu müssen.

Shy Tech lebt von intuitiver Bedienung

Technik, die das Leben bereichert, vielleicht sogar erleichtert und entspannt, und gleichzeitig mit so wenig Aufwand wie möglich gemanagt werden kann, darum geht es bei Shy Tech. Technologie passt sich in Zukunft an die Bedürfnisse der Menschen an und nicht umgekehrt. Shy Tech wird so gestaltet, dass kein Nutzer sich viele Gedanken um die Bedienung machen muss. Schalter oder Buttons werden durch intuitive Interaktionsflächen ersetzt, die sich in die Umgebung einfügen oder alternativ die Anwendungssteuerung mittels Sprach- und Gestensteuerung ermöglichen.

Weniger Hände, mehr Stimme: Sprachsteuerung entlastet unsere Finger

Die menschlichen Hauptwerkzeuge bleiben zukünftig immer häufiger frei, weil die Stimme zum Befehlsgeber wird. Natürlich, das Thema ist dank Alexa und Co. nicht neu. Laut einer Statista-Grafik vom Februar 2018 gaben 5,9 % von 2.000 Internetnutzern an, Amazon Echo im Gebrauch zu haben. In den USA waren es im Vergleich bereits 15,4 % – Tendenz steigend. Aber auch die Gesten- und sogar die Gedankensteuerung sind auf dem Vormarsch – nicht nur beim Shy-Tech- Trend.

Die Anwendungsfälle sind vielseitig

Eine abstrakte Vorstufe von High-End-Shy-Tech sind kabellose Boxen oder gar Staubsauger. Früher waren hässliche Kabelstraßen, die durch das ganze Haus liefen, die Normalität. Doch die Selbstverständlichkeit, auf den schwarzen Kabelsalat in den Ecken unseres Wohnraumes verzichten zu können, ist längst in uns verankert.

Dr. Patrick Kramer ist schon ein paar Shy-Tech-Stationen weiter. Er ist vielen durch seine Auftritte zum Thema Mikrochip-Implantate bekannt. Doch noch ist so ein Chip unter der Haut für viele undenkbar. Dabei entlasten sie ihre Träger schon jetzt als Schlüsselersatz und Speichermedium. Bis Bezahlungen ebenfalls easy via RFID-Chip-Implantat getätigt werden können, ist es nur eine Frage der Zeit. Schlüssel oder Portemonnaie vergessen oder verlieren wird so unmöglich – bleibt mehr Raum für wichtigere Gedanken.

Reduzierte Größen, aber auch optimierte Designs und neue Materialien – sogenannte Advanced Materials – gehören zum Shy-Tech-Trend. Mit neuen intelligenten Materialien wie „Sensorskin“ entwickeln Designer Produkte, die unsere unbewussten Wahrnehmungen nutzen und in aktiv anwendbare Informationen umwandeln. Eine hochflexible Sensorschicht misst hierbei physische Interaktion und Druck auf beinahe jeder Oberfläche. Durch den Einsatz werden Geräte und Maschinen berührungsempfindlich. Auch Gewebearten, unter denen die Haut selbst bei Starkregen wie selbstverständlich trocken bleibt, gehören zu solchen Advanced Materials.

Die Zukunft bleibt
selbstbestimmt

Alles Neue will kritisch hinterfragt werden. Was Shy Tech angeht, gibt es auf den ersten Blick keine Nachteile. Doch es lohnt sich auch, zu überlegen, ob diese immer geringer werdende Wahrnehmbarkeit von Technologie uns nicht zu sehr beeinflusst, ohne dass wir es merken. Dass sich Technik mit der Welt um uns herum ändert, ist gewiss nicht vermeidbar. Vielleicht sind Sorgen daher unberechtigt? Mensch und Technik gehen mit Shy Tech eine Symbiose ein, die unsere Zukunft beeinflussen wird. Das Gute: Unsere Aufmerksamkeit wird dank der vornehmen Zurückhaltung von Technik wieder auf das Wesentliche gelenkt, ohne ständig mit einem Fuß in der digitalen Parallele zu stehen. So unterstützt uns die Technik, gibt uns aber nicht als „selbstlernende Bestie, die in Schach gehalten werden muss“, die Richtung vor, sondern lässt uns die Zukunft bewusster selbst gestalten.